GastkommentarJarosław Tomaszewski

Gott in Zeiten der Ablenkung wiederentdecken

Der Verlust der spirituellen Sensibilität ist kein Mangel an Glauben, sondern die Frucht des inneren Chaos und der Kultur der Ablenkung, die in der modernen Welt vorherrschen. Die Wiederherstellung der Stille, der Ordnung und der Verehrung des Heiligsten Herzens ist der Schlüssel zur Reaktivierung der Sinne der Seele und zur Rückkehr zu Gott.

9. Juni 2025-Lesezeit: 4 Minuten
Ablenkung

Angesichts des inneren Zustands ihrer Zeitgenossen lehnen viele die Schlussfolgerung ab, dass es möglich ist, einen Menschen hervorzubringen, der aufhört, von Natur aus offen für Gott zu sein, und im Gegenteil das Bedürfnis nach Kontakt mit dem Schöpfer völlig verliert. Sind die Menschen der so genannten neuen Zeit kalte Atheisten? Ganz und gar nicht. Die Realität muss mit Augenmaß und nicht oberflächlich betrachtet werden. Der Atheismus war, ist und wird nie der natürliche Zustand der menschlichen Seele sein. Er ist ein künstliches Reservoir moralischer Ingenieurskunst, in dessen dicker Suspension sie versuchen, nachfolgende Generationen zu ertränken. Nur der Zustand des Glaubens - die ursprüngliche Gewissheit des menschlichen Geistes über die Nähe Gottes und seine Existenz - ist für den Menschen natürlich. Warum also scheint heute der Zweifel zu überwiegen?

Auch hier muss man sorgfältig zwischen Herzensdummheit und Glaubensverlust unterscheiden. Vor nicht allzu langer Zeit, vor mehr als fünfzig Jahren, irgendwo an der Schwelle zur Postmoderne, wurde jeder Mensch in der westlichen Kultur in eine Zivilisation voller Zeichen des Schöpfers hineingeboren. Überall läuteten Kirchenglocken, Nonnen und Geistliche liefen durch die Straßen, von Zeit zu Zeit sah man Prozessionen, Beichtstühle standen Schlange, und selbst ein Kind wusste von klein auf, dass in der Kirche der Advent oder die Fastenzeit begonnen hatte. Die Kultur selbst, die voller spiritueller Zeichen war, versetzte die inneren Sinne der Menschen auf natürliche Weise in die Gegenwart Gottes. Jemand mag noch am Anfang seiner christlichen Bildung stehen, aber durch die Zivilisation war er oder sie bereits in Gemeinschaft mit dem Schöpfer. In der Zwischenzeit war es im Laboratorium der Moderne möglich, sich gnadenlos zu verändern. Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Viele soziale, psychologische oder ethische Experimente zielen ja gerade darauf ab, die Spuren Gottes zu verwischen. Folglich hat der Mensch von heute nicht so sehr seinen Glauben verloren - gerade auf diese Tugend wird er als höchste Tugend verzichten, weil sie das Einzige ist, was in ihm den Sinn des Daseins aufrechterhält - als vielmehr die übernatürliche Fähigkeit, mit Gott in Kontakt zu treten. Der Mensch, der in einer Kultur der Ablenkung lebt, verliert sehr schnell die Fähigkeit zu beten. Der geistliche Raum - Liturgie, Anbetung oder Besinnung - ist nie langweilig, aber eine Seele, die der Schärfe der inneren Sinne beraubt ist, trägt eine sterile Sterilität in sich. 

Der große Johannes vom Kreuz war nicht nur ein Mystiker, sondern auch ein guter Anthropologe, der in der edlen Schule von Salamanca ausgebildet wurde. Er kannte also den menschlichen Aufbau und begründete darauf den ganzen Weg der Seele zur Vereinigung mit Christus. Gott hat den Menschen weise erschaffen und wollte, dass der Mensch vernünftig mit der Wirklichkeit kommuniziert. Deshalb stattete er ihn mit Sinnen aus, als wäre er ein Leser, der Informationen über die Welt sammelt. Der Mensch erforscht also die Wirklichkeit durch Sehen, Hören, Vorstellungskraft oder Berührung. Aber die materielle Wirklichkeit, so Johannes vom Kreuz, ist nicht die einzige Welt, die wirklich existiert. Gott ist Geist, und um mit seiner Umwelt in Verbindung zu treten, ist jeder Mensch in gleicher Weise mit geistigen Sinnen ausgestattet. So wie er das physische Hören oder Sehen und den Tastsinn besitzt, mit denen er die Musik bewundert oder die Berge oder das Meer betrachtet, so besitzt er das geistige Hören oder Sehen, mit dem er zum Gipfel des Lebens Gottes aufsteigt.

Und hier liegt der Kern des Problems. Solange die Zivilisation die Zeichen der Existenz des Schöpfers respektierte, wurden die geistigen Sinne der Menschen geschärft und funktionierten. Als ganze Kulturen in den Trugbildern des Atheismus gefangen waren, wurden die geistigen Sinne vieler Menschen abgestumpft. Der Mensch glaubt immer noch an Gott und tut so, als würde er ihm als Letztes im Leben abschwören. Es fällt ihm nur schwer, sich auf Gott auszurichten, mit ihm zu kommunizieren, ihm zu begegnen, mit ihm zu sprechen. Kann man dagegen etwas tun? Die geistlichen Sinne befinden sich im Herzen des Menschen. Ja, das Herz im biblischen Sinn ist keine Spielerei der Gefühlspredigt. Es ist kein Objekt der psychologischen Beschreibung, sondern das Zentrum der Persönlichkeit. Das Herz ist also der weise Verwalter der geistigen Sinne. Wenn es in der Lage ist, sich zu formen, zu ordnen und zu konzentrieren, werden sich die geistlichen Sinne schnell erholen und stärken: Sie werden Gottes Gegenwart wahrnehmen, seine Lehre hören und seine liebevolle Berührung spüren. Aber auch das Gegenteil kann eintreten. Ein Herz im Chaos - und das ist es, was heute in der gesamten westlichen Zivilisation geschieht - wird die Sinne abstumpfen lassen und sie auf dem Weg zu Gott eine ungewohnte Strecke trennen. Unter diesem Gesichtspunkt hilft die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu. Das menschliche Herz muss in die Form des Herzens Christi gebracht werden - harmonisch, konzentriert, geordnet, möglichst weit weg von Chaos, von Verwirrung, von zu vielen Reizen. Wenn dies durch den Zustand der Zivilisation nicht mehr gewährleistet ist, muss es durch innere Autonomie bewusst gewählt werden. 

Die Hygiene des menschlichen Herzens - des Sitzes der inneren Sinne - sollte daher wieder ganz oben auf der pastoralen Tagesordnung stehen. In letzter Zeit wurde in der Kirche oft versucht, die Menschen mit einer übermäßigen Anziehungskraft von Impulsen, Bewegungen, Lichtern und Klängen zu blenden, die direkt aus der Welt auf den Altar übertragen wurden. Die Seelsorge sollte bunt sein wie ein Spektakel, tanzend, lärmend, menschlich attraktiv. Auf diese Weise verlor die geistliche Bildung oft ihr Geheimnis und wurde - um es mit den Worten von Papst Leo XIV. zu sagen - zu einem Spektakel. Auf diese Weise wird das Chaos der inneren Sinne der Menschen noch mehr durcheinander gebracht, und die Seelsorge verliert ihre Wirksamkeit. Die Menschen erhalten täglich zu viele aggressive Reize inmitten der Welt, so dass sie im Kontakt mit dem Herrn - im Tempel - mehr Ästhetik, Ordnung, Harmonie oder Stille brauchen. Die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu wird ihnen helfen, konzentriert zu leben und dann zu beten, d.h. die inneren Sinne im Herzen des Menschen zusammenzuführen.

Der AutorJarosław Tomaszewski

Polnischer Priester, Missionar in Uruguay, Professor an der Theologischen Fakultät von Montevideo und nationaler Sekretär der Päpstlichen Missionswerke von Polen.

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